Ich sitz‘ so einsam am Kamin… op. 28/6

Ich sitz’ so einsam am Kamin…» op. 28 / 6 
Text von Fjodor Ivanowitsch Tjuttschew

Ein nostalgisches Lied in der seltenen Tonart As-Moll über den Wandel und die Wiederkehr der Zeit. Die Begleitfiguren verflechten sich wie Schlingpflanzen um die Stimme. Die Führung der verschiedenen Linien ist meisterhaft, fast wie bei JS Bach, Medtners harmonischer Einfallsreichtum führt den Zuhörer durch unterschiedlichste Welten. Ein düsteres Klaviernachspiel endet überraschend in einem Durakkord.

Ich sitz so einsam am Kamin
Die Kohlen glimmen und verglühn,
Getrübt mein Blick.
Und still in meiner Einsamkeit 
An längst vergangne schöne Zeit
Denk ich zurück. 

Hab je Vergangnes ich gesehn?
Soll alles in der Welt vergehn?
Was lebt zur Stund?
Ja, alles schwindet Jahr um Jahr 
Und taucht hinab für immerdar,
Im dunklen Schlund. 

So fliehen Jahr um Jahr geschwind.
Was klagt das arme Menschenkind,
Der Erde Gut?                                    
Es ist ja bald schon wieder Staub,
Doch jedes Jahr bringt frisches Laub
Und frischen Mut.

Und wieder geht’s den alten Lauf 
Und wieder blühn die Rosen auf, 
Der Dornbusch sticht, 
Doch diese Blüte, abgepflückt, 
so früh verwelkt und mir entrückt, 
Sie blühet nicht!

Sie ward gepflückt von deiner Hand, 
Welch grosses Glück ich da empfand, 
welch Sehnsucht auch!
So blüh’ in meinem Herzen doch, 
Solang darin von Liebe noch
Der feinste Hauch!