György Cziffra 1921-1994 – Teil 4 – Das Repertoire: Zugaben, Liszt und Schumann bis Ravel Wenn es je einen Pianisten gab, der für virtuose Zugaben berühmt wurde, dann ist Cziffra sicher an erster Stelle zu nennen. Vermutlich ist es auch eine Angewohnheit aus seiner Barmusikzeit, das Beste bis zum Schluss aufzusparen. Ähnlich wie auch bei Maxim Vengerov heute, gibt es eine ganze Reihe von ausgezeichneten Konzerten, deren Höhepunkt nach dem offiziellen Programm beginnt. Einige Beispiele: Liszts unverwüstliche Paganini Etüde La Campanella. In diesem Genre wird Cziffra wohl allein auf dem Olymp bleiben. Unvergleichlich rasch, leicht, locker und musikalisch. Am Beginn seiner Karriere musste er oft mangels Repertoire improvisieren. Z.B. über Rossinis La Danza. Natürlich erregte das zur damaligen Zeit einiges Aufsehen. Da ich nicht jedes Stück an typischen Zugaben einzeln aufführen kann, hier eine Auswahl an Petitessen. Franz Liszt: Natürlich ist es chancenlos, hier auch nur annähernd eine Zusammenstellung aller Repertoirestücke (oft in mehreren Versionen) von Cziffras Leib und Magenkomponisten zu machen. Bis heute ist er der wohl beste Verfechter von Liszts Musik geblieben. Viele seiner Schallplatten gehören zu den wichtigsten Aufnahmen überhaupt. Das er dafür bis heute als Gaukler gescholten wird, ist geradezu eine doppelte Schande für die Musikkritik. Ich konzentriere mich lediglich auf einige der Hauptwerke. Die ungarischen Rhapsodien: Keiner spielte Liszts Ungarische Rhapsodien so heftig, so heroisch, so messerscharf und abgründig wie Cziffra und niemand konnte seiner tiefen Seelenverwandschaft mit der ungarischen Zigeunermusik so drastisch und suggestiv Ausdruck verleihen. Die Einzigartigkeit der pianistischen Vehemenz und klanglichem Furor ist hier lebendig wir nirgends sonst. Allen falschen Propheten von heute sei dies zur Abschreckung empfohlen. Cziffra lehrt uns, dass Virtuosität in erster Linie mit Persönlichkeit zu tun hat und dass wahre Leidenschaft durch nichts zu ersetzen ist. Die Etüden: Die 12 Etudes d’exécution transcendente sind nicht ganz auf dem Niveau, welches man erwarten würde. Zum einen ist die Aufnahmetechnik zu trocken, zum anderen bewegt sich Cziffra doch etwas zu sehr auf zirzensischem Terrain. Ausgerechnet die „Feux follets“ scheinen ihm die Finger genauso zu binden wie uns allen auch. Die 2 weiteren Zyklen sind viel befriedigender. Zunächst ein wunderbar poetisch empfundenes „Un Sospiro“. Waldesrauschen und Gnomenreigen bewegen ebenso sich auf höchsten Niveau. Die schwierige Klaviersonate in h-moll wird mit erstaunlichem Ernst angegangen. Er scheint sich im Klaren darüber gewesen zu sein, hier seine Freiheiten eindämmen zu müssen. Eine der wohl besten Versionen aller Zeiten, einmal mehr auch für Spezialisten weitgehend unbekannt. Die Années de pélérinage I-III sind meiner Meinung nach etwas gemischt herausgekommen, neben grossartigem Klavierspiel (Dante Sonate, Jeux d’eau, Petrarca Sonette) gibt es immer auch kleinere Enttäuschungen. Trotzdem, eine imponierende Gesamtschau. Zwei kleine Kostbarkeiten zum Schluss: Der Grand Galopp chromatique wird so hingeschmissen wie Liszt sich das sicherlich gewünscht hätte. Und Alabieffs Nachtigall. Hören sie das Wegfliegen des Vogels am Schluss… Robert Schumann: Erstaunlicherweise ist Cziffra ein hervorragender Schumannianer. Man hätte vermutet, dass seine Technik sich für diese doch recht schwer darstellbare Musik nicht unbedingt eignet. Er kann sich hier mit einer Mischung aus romantischer Freiheit und Klangfarbenkunst sehr überzeugend halten. Eine Warnung im voraus: Robert Schumanns Werke werden sehr individuell aufgefasst. Es passiert nicht selten, dass Mitglieder einer Wettbewerbsjury eine Interpretation mit Höchst- bis Tiefstnoten gleichzeitig bewertet. Mein Professor Merlet riet für Wettbewerbe stets von Schumann ab! Das Heikelste zuerst: Die erste Sonate Op.11 gilt aus vielen Gründen – nicht zuletzt der Länge wegen – als problematisch. Cziffra bewegt sich hochvirtuos zwischen freiem Aussingen der Melodien und Passagen mit virtuosen Tempi. Für mich die bislang überzeugendste Darstellung dieser Sonate überhaupt. Die Toccata Op.7 ist natürlich ein gefundenes Fressen für einen Techniker dieses Kalibers. Endlich jemand, der das Ton für Ton artikuliert spielen kann! Als letztes Beispiel der Karneval Op.9. Auch hier eine grossartige Leichtigkeit sowohl in der Gestaltung als auch rein manuell. Insgesamt gehören die Schumann Interpretationen Cziffras zu den Besten überhaupt. Es ist erstaunlich, dass dies bislang noch kaum jemandem aufgefallen ist. Von Balakireff bis Ravel: Balakireffs Islamey ist bis heute eine bedrohliche Herausforderung geblieben. Um dieses Werk zu meistern, braucht es einen Pianisten, der bereit ist, Risiken einzugehen. Cziffra verlässt die Arena als wahrer Dschingis Kahn. Wenn es Sie interessiert, hier der Vergleich mit meiner eigenen Aufnahme. Rachmaninoff scheint überraschenderweise eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Für die Nachwelt erhalten ist lediglich ein Prélude sowie das zweite Klavierkonzert. Ungewöhnlich elegisch und breit ausgeführt. Cziffra scheint kein Interesse zu haben, seine Technik auszuspielen. Insgesamt ein aussergewöhnlich lyrischer Wurf mit grosser Sogwirkung. Claude Debussy und Maurice Ravel sind mit einigen Werken vertreten. Möglicherweise ist der Impressionismus nicht das typische Tümmelfeld für den stahlfingrigen Ungaren. Sein fast überartikuliertes Leggiero ist für diese Musik zu viel des Guten. Als wirklich gelungene Beispiele füge ich hier Ravels Toccata und Debussys Clair de lune an. Bela Bartok hätte sein Hauskomponist sein müssen… war es aber nicht. Die einzige Überlieferung ist eine akustisch miserable Aufnahme des 2.Klavierkonzertes. Dasjenige Werk, mit welchem Cziffra seine Karriere startete. Nach seiner gelungenen Flucht nach Paris wurde dieses Stück für Ihn zu einem Symbol seiner Zeit im Sozialismus. Er wollte es nie wieder spielen… Damit endet meine Widmung an einen der grössten Pianisten aller Zeiten. Wenn man auch über vieles an ihm diskutieren mag, sein Leben und seine Musik strahlen eine unglaubliche Faszination aus. Er trieb das Klavier zu noch nicht gekannten Höhen des Ausdrucks und der Virtuosität. Zum Schluss die Variations Symphoniques von Franck. Am Dirigentenpult steht Cziffra Jun., der nur einige Jahre später sterben sollte… worauf sein Vater nie wieder mit Orchester spielte und seinen Schmerz in immer mehr Alkohol ertränkte. Zuviele Schatten waren über seinem Leben… Teilen mit:Facebook Beitrags-Navigation György Cziffra 1921-1994 – Teil 3 –Furtwänglers Vermächtnis