Einführung in den Stil -2- Grande Sonate ‚Les Quatre Ages‘, Op.33 Alkan versuchte sich insgesamt sieben Mal an der Sonatenform (Opp.21, 30, 39 Nrs.4+8, 47, 61). Seine einzige grosse Klaviersonate hat mit der klassischen Form nicht das geringste zu tun. Die vier Sätze beschreiben vier Lebensalter (20, 30, 40, 50 jährig) und werden zunehmend langsamer. Dieses Werk ist nun geradezu ein Angelpunkt einer Diskussion. Alkans Anhänger feiern es als originellste und wichtigste Sonate des Jahrhunderts, Verächter sehen hier alle Schwächen diese Komponisten quasi in Zusammenfassung. Ich selbst bin mit dem Enthusiasmus in diesem Fall etwas zurückhaltend, trotz aller Originalität gibt es Kritikpunkte. Einer meiner Freunde nannte es eine Sonate, „welche im Verlauf immer ein wenig schlechter wird“. Die Beobachtung ist nicht ganz falsch. 20 ans: Très vite, décidément Der erste Satz ist ein wunderbares Scherzo, das Dur-Gegenstück zu Chopins Op.20. Die beiden waren enge Freunde, kaum vorstellbar dass Sie nicht darüber diskutiert haben (Alkans Sonate wurde 1847 veröffentlicht, Chopin starb 1849). Ein enthusiastischer Ausbruch mit vielen polyrhythmischen Verwechslungen. Der B-Teil enthält eine raffiniert harmonisierte Melodie welche kurz vor Schluss hymnisch transzendiert wird. Die dramatische Coda fasst alle Elemente nochmals zusammen. Gerne würde man sich die letzten 7 Takte sparen, Alkan neigt manchmal dazu Schlüsse unnötig zu verlängern, hier tut er möglicherweise zuviel des Guten. 30 ans: Quasi-Faust, Assez vite, Sataniquement Zu viele Informationen, zuviel Ambitionen. So könnte man den Satz charakterisieren, welcher ein einzigartiges Meisterwerk sein könnte. Meiner sehr ketzerischen Meinung nach wäre das Problem fast gelöst, wenn man die 14 Takte (Le Diable) Seite 17 und die Fuge bis hin zum Beginn der Coda (mf, et en augmentant…) weglassen würde. Ich beeile mich hinzuzufügen, dass dies bei einer Aufführung natürlich nicht in Frage kommen würde. Auf Seite 17 kommt der Teufel („Le Diable“) expizit selbst zu Wort. Ähnlich wie die Hexen in Berlioz Sinfonie Fantastique scheint auch er die höhere Reifeprüfung nicht bestanden zu haben. Das Material und die Darstellung sind arg banal. Wie gesagt, ohne diese 14 Takte würde der ganze erste Teil besser aufgehen, hier ist eine erster Riss in der Komposition zu erkennen. Die zweite Gletscherspalte öffnet sich bei der Fuge. Ich sagte bereits, dass Kontrapunkt nicht die Sache dieses Komponisten war. Hier versucht er überambitioniert eine 8stimmige Fuge aufzubauen, welche eigentlich schon am ersten Kontrapunkt scheitert. Der Klaviersatz läuft komplett aus dem Ruder (so bemerkenswert Idee und Notation auch sind, es funktioniert überhaupt nicht) und Alkan rettet sich verzweifelt in ein noch nie dagewesenes Fortissimo-Gedonner, ein Cis-7 Akkord der fast eine ganze Seite in Beschlag nimmt. Auf der Habenseite ist es ein melodienreicher Satz in unglaublich fantasievoller Ausführung. Das kämpferische Faust Thema des Beginnes, Gretchens Seitensatz in gis-moll und das fast Messiaen-artige „Thème de Dieu“ welches zum Schluss den Basso ostinato führt, bleiben für den Zuhörer unvergänglich. Gerne wird ein Zusammenhang mit Liszt h-moll Sonate heraufbeschworen. So naheliegend wie dies auch sein könnte, ich sehe (abgesehen von der Faust-Thematik) keine Verbindung. 40 ans: Un heureux ménage, Lentement Eine rührende Familienszene mit Kindern. Das Nocturne schildert im B-Teil die herumkrabbelnden Kinder in 16tel Doppelgriff-Passagen, die rund drei Seiten beanspruchen und m.E. etwas leerlaufen. Die Reprise versucht einen Kanon aus der Melodie zu bilden, wiederum funtioniert es kaum einen Takt lang. Der Schluss ist fast reine Programmusik. Eine Kirchenuhr schlägt 10 Mal, gefolgt vom Nachtgebet und den Kindern die einschlafen. 50 ans: Prométhée enchaîné Der gefesselte Prometheus ist der gealterte Mann, welcher über seinen Tod sinniert. Der Trauermarsch endet in der Tonart gis-moll, so weit wie nur möglich entfernt vom D-Dur zu Beginn der Sonate. Kurz und gut, es ist sicherlich die interessanteste Konzeption unter den romantischen Sonaten zwischen Schubert und Brahms. Ob es Alkan rundum gelungen ist seine Ideen zusammenzufassen bleibt offen. Ein Teil der Faszination macht genau die Ambivalenz zwischen Anspruch und Realisation aus. Vergessen wir nicht, die Sonate stammt aus dem Jahr 1847, erst viel später konnte Gustav Mahler ähnliche Inhalte in seinen Sinfonien ausdrücken, aber dies wäre ein anderes Thema… Erstmals gespielt wurde das Ganze Werk erst 129 Jahre nach der Publikation (!!), 1976 vom bedeutenden englischen Klavierabenteurer Ronald Smith. Hier seine Interpretation: Link to YouTube results Teilen mit:Facebook Beitrags-Navigation Einführung in den Stil -1-Einführung in den Stil -3-