Chopin 24 Préludes Op.28 Gelegentlich braucht es äussere Einflüsse um zum Glück gezwungen zu werden. In meinem Fall war es eine Einladung zu einem Chopin-Festival, unter der Bedingung die Préludes Op.28 auf das Programm zu setzen. Diese Stücke kannte ich natürlich seit längster Zeit. Ich habe sie häufig vom Blatt gespielt und bereits frühzeitig entschieden, dass dies nichts für mich sei. Zunächst mal bin ich in Sachen Chopin nicht gerade ein Naturtalent. Diese Musik ist für meine Finger etwas „unangenehm bequem“, sie benötigt ausserdem einen leggiero-Anschlag („facilement“ pflegte Chopin zu sagen) der ebenso nicht mein Ding ist und mein musikalischer Instinkt für die Melodik scheint sich oft willkürlich ein- und auszuschalten. Schlussendlich sind diese Préludes sicher das schwierigste Werk Chopins überhaupt, technisch auf kleinstem Raum äusserst heikel und musikalisch ungemein anspruchsvoll. 24 unverwechselbare Charaktere müssen blitzartig erfasst und umgesetzt werden, ohne den Blick auf das Ganze zu verlieren. Gut, dank allen Skrupeln habe ich diese Aufgabe damals nicht unterschätzt und nach viel Arbeit bin ich mit der später daraus resultierenden CD-Aufnahme weitgehend zufrieden. Einige Bemerkungen zur Geschichte: Oft wird der Bezug zu Johann Sebastian Bachs Wohltemperiertem Klavier bemüht. Ohne allzusehr in Details gehen zu wollen, die Tonartenabfolge ist anders und Bach hat nie und nimmer an eine zyklische Aufführung des WTK gedacht. Die eigentlichen Vorläufer waren Serien von Präludien zum Einstimmen oder Einspielen in unterschiedlichen Tonarten. Möglicherweise waren dies sogar nur Modulations- und Kadenzübungen. Die bekanntesten Préludes, Exercices, Préambules etc. sind von: Johann Nepomuk Hummel, Henri Herz, Muzio Clementi, Johann Baptist Cramer, Joseph Kessler und Adolf Henselt. Interessanterweise ist das bedeutendste Opus von einer Komponistin: Maria Agata Szymanowska mit ihren 20 Exercices et Préludes. Sicher hat Chopin dies in Warschau gekannt und gespielt. Gut, ob ich diese Übungsstücke auch in einem Konzertprogramm spielen würde sei dahingestellt, jedenfalls sind ihre Préludes die umfangreichsten und musikalisch interessantesten. Die vorab genannten Komponisten begnügten sich meist mit einem Dreizeiler, einigen Tonleitern und Akkorden. Cramer vermied sogar Taktstriche. Jetzt wird klar, dass Chopin hier buchstäblich die erste Pyramide in der Wüste baute. Seine Stücke sind fein ausgearbeitet, beziehen sich in Kontrast und Übergängen aufeinander und stellen das Gesamtwerk dieses Komponisten in brennpunktartiger Form dar. Es kann nicht erstaunen, dass auch Robert Schumann hier nur vorsichtigen Enthusiasmus äusserte: „Skizzen, Etüdenanfänge, oder will man, Ruinen, einzelne Adlerfittiche, alles wild und bunt durcheinander.“ Gleichzeitig bedeutete dieses Meisterwerk auch fast einen Schlusspunkt. Weitere Opera dieses Genres von Alkan, Cui, Kabalevski (Rachmaninoffs 24 Préludes sind grosse Klavierstücke, ganz anders geartet), bis hin zu Ohama und Kapustin konnten sich nicht gleichermassen durchsetzen. Nur Scriabins Op.11 wird gelegentlich ganz gespielt und ist auch qualitativ in etwa vergleichbar. Übrigens war Alexander Scriabin eigentlich der einzige, welcher Chopins Ästhetik weiterführen konnte. Chopins ureigener Stil, wie nebenbei auch der Mozarts, liessen kaum Platz für Entwicklung. Möglicherweise ist die Musikwissenschaft daher auch so zurückhaltend mit Kompositionsanalysen dieser Komponisten(es gibt z.B. bis heute kein schlaues Buch über den Aufbau von Mozarts Klaviersonaten). Zur Aufführung im Konzert. Chopin, längst geschwächt durch Krankheiten, spielte stets nur eine Auswahl der Préludes. Ob er im privaten Kreis den ganzen Zyklus jemals vorstellte ist unklar. Er hatte einen hochentwickelten Sinn dafür, was in den Salons präsentabel war und was nicht(öffentliche Konzerte gab er damals kaum noch). Ich selbst habe 2010 einige Male versucht in verschiedenen Kombinationen eine Auswahl im Konzert zu spielen. Der Eindruck für das Publikum wie auch für mein Spielgefühl war immer unbefriedigend, ich werde das sicher nie mehr probieren. Meiner Meinung nach funktioniert dieser Zyklus nur als Ganzes. Auf dem Niveau des Notentextes kann ich nur einmal mehr festhalten, dass die grössten Pianisten oft die grössten Sünder sind. Unabhängig davon wie grossartig und farbenreich die Aufführung auch ist, kaum jemand beachtet die (ausgestrichenen und penibel im Manuskript korrigierten!) Pedalbezeichnungen. Bitte nicht mit dem Hinweis kommen, dass die alten Klaviere weniger Nachhall haben, bei schlechtem Pedalgebrauch verschmiert es auch dort, das habe ich ausprobiert. Viel eher ist man damals wie heute aufgefordert, das Pedal subtil einzusetzen, eine der Grundlagen von Chopins Musik. Oder das Crescendo vor der Reprise im Es-Dur Prélude, den 6/4 Takt im Fis-Dur (à deux Temps, pas à 6!), das vorgeschriebene Allabreve im a-moll und e-moll, einige spielen das es-moll als „Largo“ (statt Allabreve Allegro), dabei war das nur eine Übeanweisung für Chopins Schülerin Jane Fielding… Am meisten hilft die Lektüre von J.-J. Eigeldingers Werk „Chopin vu par ses élèves“, ein Grundlagenwerk dessen zugegebenermassen mühselige Lektüre mit unendlich vielen Inputs belohnt wird. Eine klare Feststellung kristallisiert sich dabei heraus, dass Chopin nichts so sehr hasste, wie wenn seine Vortragsanweisungen nicht beachtet wurden! Geniessen wir zum Schluss noch den Kommentar von Franz Liszt: „(Es sind)… nicht nur Einführungen zu anderen Stücken, wie man dem Namen nach meinen könnte, sondern poetische Vorspiele (…) die die Seele in goldenen Träumen wiegen und sie in die Regionen des Ideals erheben. (…) Alles an ihnen wirkt frisch, geschmeidig, voll der Freiheit des Ausdrucks, die geniale Werke auszeichnet.“ JJS, 07.02.2014 Teilen mit:Facebook Beitrags-Navigation Einsichten und PerspektivenGyörgy Cziffra 1921-1994 – Teil 1 –