György Cziffra 1921-1994 – Teil 3 –

Das Repertoire: Romantik Mendelssohn, Brahms, Chopin

Die romantische Epoche ist das Hauptbetätigungsfeld des Interpreten Cziffra. Auffällig ist, dass er bei „klassizistisch“ orientierten Romantikern die grossen Werke meidet, bekannte Petitessen jedoch meist im Repertoire hat. Ausgenommen davon sind eigentlich nur die Brahms Paganini-Variationen. Hier hat vermutlich der technische Anreiz den Ausschlag gegeben.

Ich möchte nach Komponisten vorgehen.
Felix Mendelssohn:

Ein typisches Beispiel für einen konservativen Romantiker. Cziffra spielte gerne einige der „Lieder ohne Worte“ und das Rondo capriccioso. Die ausgezeichneten Variations sérieuses gibt es nur in einem Live-Mitschnitt.

Das beste Beispiel eines kleinen Zugabestücks ist das zweite Scherzo op.16. Besser kann man es nicht mehr machen.

Hingegen scheint die Interpretation des ersten Klavierkonzerts sehr unausgeglichen. Überromantisiert und im Schlussatz auch technisch etwas forciert dargeboten. Der Klang des Orchesters unter der Stabführung von Cziffras Sohn ist hingegen brilliant.

Johannes Brahms:
Als da wären: Die Paganini Variationen, die Rhapsodien und der As-Dur Walzer.

In aller Ehrlichkeit – es ist schwer vorzustellen, wie Cziffra mit den späten Intermezzi oder der 3.Klaviersonate umgegangen wäre. Die vertrackten Paganini Variationen sind höchst eigenwillig, mit vielen Freiheiten und einem doch sehr kalten Klang vorgetragen. Vermutlich stand da das technische Interesse am Werk im Vorgergrund. Die architektonische Logik dieses Stückes geht ein wenig verloren. An diesem Beispiel zeigt sich deutlich, dass nicht das ganze Repertoire für diesen Pianisten zugeschnitten ist. Dies ist ja auch keine grosse Offenbarung, sein musikalischer Hintergrund war ganz einfach anders.

Frédéric Chopin:
Sie werden mir sicher nachsehen, dass ich nicht die ganze Lawine an Aufnahmen kommentieren kann. Cziffra spielte weitgehend das Gesamtwerk, ein grosser Teil davon (in toto rund 6 CDs) ist in verschiedenen Aufnahmen dokumentiert.

Chopin: Einer der heikelsten Komponisten. Es gibt Pianisten, die ihn im Blut haben, andere kämpfen das ganze Leben mit dem speziellen Klang dieser Musik. Bei Cziffra scheint sich das Gespür fliessend ein- und auszuschalten. Erstaunliche Interpretationen stehen neben verzweifelt groben Wiedergaben, die einzige Konstante ist die Unstetigkeit. Cziffra war sich dieser Problematik durchaus bewusst.

Ich möchte mich daher auf die „Habenseite“ konzentrieren.

Eines der brilliantesten Dokumente ist das erste Klavierkonzert. Elegant, überraschend leicht und extravagant hingeworfen. Auch das Orchester (wiederum Cziffra jun.) überzeugt auf der ganzen Linie. Für mich eine der grossen Interpretationen dieses schwierigen Werkes. Hier das Rondo.

Die vierte Ballade ist ebenso meisterlich gespielt. Im allgemeinen ist der Pianist in Chopins späteren Werken immer etwas unwohl, hier jedoch steht jeder Ton an seinem Platz. Übrigens, für alle Spezialisten: Es lohnt sich der Vergleich mit Horowitz, die Auffassung ist recht ähnlich.

24 Etüden: Viel wurde geschrieben über diese Tour de force. Cziffra nimmt die Stücke im Stil von Paganini Capricen und kostet die Virtuosität bis zum letzten Ton aus. Fehlgeleitete Könnerschaft vom ersten (!) bis zum letzten Ton oder hochinteressante Studie?! Lassen wir die Frage offen, ignorieren wir für einmal die Urtextausgaben und versuchen wir anhand von Cziffras dramatischem Leben zu verstehen, wie es zu diesem unkontrollierten Vulkanausbruch kommen konnte. Aller Kritik zum Trotz (auch für mich hat das nicht gerade „Modellcharakter“) eine Platte, die ich nicht im Regal missen möchte. Für die klassische Wiedergabe gibt’s ja nebst vielen anderen Maurizio Pollini.

Das Fantasie Impromptu war das letzte Stück, welches Cziffra in seinem Leben spielen sollte. Kurz vor seinem Tod spielte er es im Spital ein letztes Mal auf einem Piano.

Damit wäre der erste Teil der Romantik abgeschlossen. In der nächsten Folge geht es von den Zugaben über Franz Liszt bis zu Balakireff!